Neue Diagnosekriterien und Nomenklatur von intrakranieller Hypertension im Gespräch
Im September 2013 wurde ein Paper durch die American Academy of Neurology veröffentlicht, das seit dem für einigen Gesprächsstoff in Fachkreisen sorgt. Inhaltlich wird sowohl eine Anpassung der Diagnosekriterien wie auch der Namensgebung des seltenen Krankheitsbildes vorgeschlagen, was nicht überall positiv gesehen wird.
Neu vorgeschlagene Krankheitsbezeichnung
Man kommt in der Veröffentlichung zu dem Schluss, dass die Bezeichnung Idiopathische intrakranielle Hypertension zwar eine angemessene Bezeichnung sei, sich aber in der Klinikpraxis nicht durchgesetzt habe. Man möchte der Bezeichnung Pseudotumor cerebri daher mehr Gewicht verleihen. Trotzdem sieht man aber auch weiterhin die Notwendigkeit, die Krankheit in zwei Unterarten zu unterteilen: nämlich einmal der Verlauf ohne identifizierbare Ursache (idiopathisch) und einmal jener mit konkreten Auslösern wie Sinusstenosen, Medikamenten oder bestimmten Krankheitszuständen (Sekundäre intrakranielle Hypertension).
PTCS (Pseudotumor cerebri Syndrome) – wirklich der passendere Name?
Konkret wird vorgeschlagen, künftig bei dem Krankheitsbild von PTCS als Oberbegriff zu sprechen und dabei zwischen primary PTC und secondary PTC zu unterscheiden. Einige Kommentare fachkundiger Ärzte und Patientenvertretungen halten diese Änderung allerdings für weniger sinnvoll: Zum einen gäbe es keine Notwendigkeit „etwas zu reparieren, was nicht kaputt ist“. Zum anderen wird darauf verwiesen, dass der Namensbestandteil ‚Pseudo-‚ häufig missinterpretiert werde, was sowohl das Verständnis für die Krankheit, als auch die Akquise von Forschungsgeldern erschwere.
Konsens besteht hingegen darüber, dass die Bezeichnung benigne intrakranielle Hypertension (benign = gutartig) wegen der Erblindungsgefahr und Lebensqualitätseinbußen unlängst überholt ist.
Neue Diagnosekriterien
Bei den Überlegungen zu neuen Diagnosekriterien ist inzwischen auch der Umstand ins Blickfeld gerückt, dass es einige Fälle der Krankheit ohne Stauungspapille gibt, bislang bekannt unter der Abkürzung IIHWOP (Intracranial Hypertension without Papilloedema). Hier soll das Vorhandensein einer Abduzensparese (Lähmung des 6. Hirnnervs, der für die Augenbewegung zuständig ist und so zu Doppelbildern/Schielen führt) nach der Meinung der Verfasser trotzdem zu einer sicheren Diagnose führen können.
Hat ein Patient weder ein Papillenödem noch eine Augenfehlstellung, sollen zusätzliche Befunde aus der Bildgebung eine Diagnose zumindest erhärten können. Die Rede ist dann von einem probable PTCS also einer möglichen Diagnose von PTCS im Gegensatz zu einem definite PTCS in den vorgenannten sicheren Diagnosekonstellationen.
Vorschlag der überarbeiteten Diagnosekriterien im Überblick
1. Definitive Diagnose von Pseudotumor cerebri syndrome: | |
A. | Stauungspapille |
B. | normale neurologische Befunde (außer eventuell auffällige Hirnnerven) |
C. | MRT-Bildgebung (mit oder ohne Kontrastmittel): ohne Hinweis auf Hydrocephalus, Hirnläsionen oder anderen Aufälligkeiten bei den typischen Patienten (weiblich und übergewichtig); sowie eine zusätzliche Venographie für die Übrigen. Wenn ein MRT nicht verfügbar oder kontraindiziert, kann auch ein kontrastmittelunterstütztes CT zur Anwendung kommen. |
D. | normale Liquorzusammensetzung |
E. | erhöhter intrakranieller Eröffnungsdruck (250 mm/H2O bei Erwachsenen und 280 mm/H2O bei Kindern (250 mm, wenn das Kind nicht sediert und nicht übergewichtig ist)) im Rahmen einer fachgerechten Lumbalpunktion) |
2. Diagnose von Pseudotumor cerebri syndrome ohne Stauungspapille | |
2.1. | Ohne Stauungspapille soll eine definitive Diagnose von PTCS erfolgen können, wenn die obigen Kriterien B–E erfüllt sind und der Patient zusätzlich eine ein- oder beidseitge Abzudensparese hat (Schielen) |
2.2. | Ohne Stauungspapille oder Abduzensparese soll von einer möglichen PTCS-Diagnose oder probable PTCS gesprochen werden, wenn die obigen Kriterien B–E erfüllt sind und zusätzlich mindestens 3 der folgenden Bildgebungs-Kriterien vorliegen: |
i. | Empty sella |
ii. | Abflachung des hinteren Augapfels (Flattening of the posterior aspect of the globe) |
iii. | Ausdehnung des retrobulbären Liquorraumes mit oder ohne Gefäßschlängelung des Sehnerven (tortuous optic nerve) |
iv. | Sinusvenenstenose |
Mögliche PTCS auch ohne erhöhten Hirndruck möglich
Ferner sollen nach den Vorschlägen der Arbeitsgruppe über die o.g. Kriterien hinaus aber auch solche Fälle als probable PTCS Berücksichtigung finden, die zwar die typischen Beschwerden und Voraussetzungen der Krankheit erfüllen (Kriterien A-D), aber deren Hirndruck nicht über die für die Diagnose notwendige Druckhöhe hinaus geht. Als Grenz-Druckhöhe geht man dabei von 25cm H2O bei Erwachsenen aus und berücksichtigt für Kinder die jüngsten Erkenntnisse einer breit angelegten Studie, durch die die Druckgrenze auf 28cm H2O heraufgesetzt wurde. Allerdings sei bei Druckmessung immer zu berücksichtigen, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt, die sowohl falsch-positiv als auch falsch-negativ ausfallen kann und unter Umständen durch eine weitere Druckmessung verfiziert werden muss.
Ob und in welchem Umfang die Kriterien-Vorschläge von Fachkreisen angenommen werden, bleibt noch abzuwarten. Die DGiH beobachtet die Diskussion zu dem Thema weiter.
Zur der englischen Zusammenfassung des Originalartikels gelangen Sie hier.
Die Kommentare der Fachleute können Sie hier verfolgen.
jl
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